Vice Versa – Experimente des Analogisierens
KISD _TH Köln | Forschungsprojekt »Open Universities« | Sommer 2023

Der ›digitale Raum‹ wird oft als Antagonist des ›analogen‹ Raums dargestellt, als getrennte Sphären, die nur schwer zueinander finden. Die Auseinandersetzungen in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gestaltung sind tief von dem Gegensatz der ›neuen digitalen‹ und der ›alten analogen‹ Medien geprägt. »Offenbar hat sich die Unterscheidung analog/digital zur paradigmatischen Leitdifferenz des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts entwickelt« (Jens Schröter/Alexander Zons, 2015). Doch was bedeutet ›analog‹ und ›digital‹ in Entwurfs- und Gestaltungsprozessen? Ist ›analog‹ tatsächlich das Gegenteil von ›digital‹? Oder können analog/digital auch ›deckungsgleich‹, ›dasselbe‹ oder ›gleichartig‹ bedeuten? Inwieweit ist die binäre Vorstellung von ›analog‹ und ›digital‹ in der Gestaltung überhaupt zutreffend? Und muss sie immer nur in eine Richtung wirken – vom Analogen zum Digitalen? Ist Digitalisierung der einzig mögliche Umwandlungsprozess für die ›große Transformation‹ in Kultur und Gesellschaft? Welche Übergänge zwischen beiden Formen können entwickelt werden?

Diese Fragen bearbeiten die Teilnehmer:innen des Lernlabors »Vice Versa« theoretisch und experimentell, indem sie einen für diese Zeit ungewöhnlichen Schritt gehen: Sie ›analogisieren‹, beispielsweise einen SMS-Chat in Buchform, ein Online-Archiv als Printprodukt oder den alten Blog aus den frühen 2000er-Jahren als Drucksache. In diesem Lab entwerfen die Teilnehmer:innen eine individuelle Printpublikation, die digitale Inhalte und Formen ›analogisiert‹. Die Arbeiten werden anschließend zu einem kollektiven, analogen Archiv des Digitalen zusammengefügt und ausgestellt.

Auch die materielle Ausführung der Prints verschränkt das Digitale mit dem Analogen: Gedruckt wird mit einem Risografen, einer japanischen Maschine, die Digitaldruck mit Sieb- und Offsetdruck verbindet. Der Risograf druckt ausgehend von einer digitalen Datei, allerdings erstellt er von dieser eine physische Masterschablone. Durch diese Vorlage presst er die Tinte von einer Rolle auf das Papier. Dieser Vorgang führt dazu, dass jeder Druck auch kleine Ungenauigkeiten, Ungleichheiten und Texturen enthält.

Das Lernlabor »Vice Versa« hat sich zum Ziel gesetzt, im Zeitalter des Digitalen das Analoge in der Aktivität von Schrift und Bild neu zu entdecken. Inspiriert von der Verknüpfung physischer Gestaltungs- und Druckpraktiken mit digitalen Verfahren werden grafisch-kommunikative Artefakte konzipiert und materialisiert. »Vice Versa« ist eine Veranstaltung der »Open Universities« der TH Köln und der Universität zu Köln, gefördert von der RheinEnergie Stiftung im Schwerpunktprogramm »Gesellschaft und digitale Transformation«. Die »Open Universities« gehen der Frage nach der Zukunft des Wissens im postdisziplinären Zeitalter nach. Diese Frage fordert dazu auf, alteuropäische Praktiken der Welterschließung zu ›ver-lernen‹ und Dinge nicht länger in einer binären Logik zu beschreiben.

Lernlabor »Vice Versa«
02. bis 12. Mai 2023, Köln International School of Design der TH Köln

Organisation
Max Hoffmann, Anton Rahlwes und Nina Sieverding

Teilnehmer:innen
Alexandra Koch, Dalga Elisa Behrangi, Elena Schröder, Elin Lucia Dobrostal, Fabian Klinnert, Gardy Wu, Greta Guadalupe Rugullis, Leo Malins, Lotta Hagedorn, Lukas Menzel, Mariia Kolkutova, Mario Pimentel, Moritz von Laufenberg, Nicole Aschenbrenner, Philipp Pätzold, Sahra Louise Vogel, Sara Milic, Serin Gatzweiler, Tsz Tsun TANG, Yelyzaveta Melnychenko, Yuet Yi Juliett Tam

Fotos
Max Hoffmann, Philipp Pätzold, Anton Rahlwes, Nina Sieverding und Tsz Tsun TANG

Booklets
Leo Malins, Everywhere Nowhere, KISD, Cologne 2023 [Video]
Everywhere & Nowhere is a zine that explores the language of our layered existence through fictional world-building and object semantics. It uses AI image generation to create a place that is simultaneously non-existent and composed of every place that has made its way onto the Internet. The zine features vignettes composed of loosely connected images from this fictional place. The zine intentionally does not feature people, allowing the reader to form their own narratives and ideas about the place’s inhabitants based on the semantics of the objects and places presented.

Philipp Pätzold, Last 72 Hours, KISD, Cologne 2023
The publication focuses on facts and figures archived by the independent research group »gunviolencearchive.org«. The resulting booklet, titled Last 72 Hours, also features images of the most commonly used firearms in the U.S. and poetry by victims of gun violence.

Herzlich danken wir Moritz von Laufenberg und Clemens Wahlig für die freundliche Unterstützung bei den Druckprozessen.

Anton Rahlwes, Nina Sieverding, Max Hoffmann
Seit 2020 haben die Designer:innen Anton Rahlwes und Nina Sieverding gemeinsam die Chefredaktion des Magazins form übernommen. 2021 kam Max Pietro Hoffmann (Autostrada Studios, Berlin) als Art Direktor hinzu.

form ist ein unabhängiges Magazin, das sich der Gestaltung des Sichtbaren und Unsichtbaren widmet, verschiedene Gestaltungsformen untersucht, gesellschaftlich einordnet und einen kritischen Standpunkt einnimmt. form wurde 1957 als »form. Internationale Revue« durch Jupp Ernst, Willem Sandberg, Curt Schweicher und Wilhelm Wagenfeld gegründet und hat sich im Laufe der Zeit einen fortwährenden Wandel unterzogen. form startet als breitgefächerte Kulturzeitschrift, die nicht nur Kunst, Architektur und industrielle Formgebung, sondern auch Ballett, Musik, Gedichte und gestalterische Manifeste bespricht und veröffentlicht. Als Chefredaktion bringen Anton Rahlwes und Nina Sieverding vor allem intersektionale und feministische Perspektiven in das deutsche Design ein, die entscheidende Bausteine für eine demokratische und freie Gesellschaft darstellen.